Es passt schon – und dir so?
„Es passt schon – und dir so?“ Diesen Satz spiele ich inzwischen automatisch ab, wenn mich jemand fragt, wie es mir geht.
Nachdem meine Mama gestorben ist, wurde ich sehr häufig gefragt, wie es mir geht – ist ja auch nur verständlich, viele Leute haben sich um mich gesorgt und dafür bin ich bis heute sehr dankbar. Das allseits verbreitete „Gut, danke, und dir?“ schien mir nicht mehr richtig, da es mir nun wirklich nicht gut ging. Bei mir sehr nahestehenden Personen antwortete ich ehrlich, sagte, dass es mir nicht gut geht und ich vor Verzweiflung kaum noch atmen kann. Gegenüber allen anderen spielte ich meine vorbereitete Antwort ab: „Es passt schon“.
Das ist eine recht unverbindliche Antwort und ich glaube, dass viele Menschen sie (ganz unbewusst) gerne überhören. Es ist weder gut, noch schlecht. Es passt eben. Denn seien wir mal ehrlich, die Frage „Wie geht’s dir?“ hat sich inzwischen eher als Höflichkeit eingebürgert und ist oftmals kein echtes Interesse am Befinden des Gegenübers. Es geht häufiger mehr um Smalltalk zwischen Tür und Angel, als um ein tiefgründiges Gespräch über die eigenen Probleme.Wenn man mich nach meinem Befinden fragt und ich jedes Mal 100%ig ehrlich antworten würde, dann würde es wohl öfter in tiefgründigen Gesprächen oder unangenehmer Stille enden, als mir lieb ist.
Ich habe das Gefühl, dass es nach fast drei Jahren nicht mehr akzeptabel ist ganz unvermittelt zu sagen: „Du, ehrlich gesagt geht’s mir nicht so gut. Ich musste vorher plötzlich an meine Mama denken und jetzt bin ich ziemlich traurig.“ Ich traue mich oft nicht, diese Gefühle so ehrlich auszusprechen, quasi ohne jede Vorwarnung, an einem beliebigen Tag. Zu groß ist meine Angst davor, welche Richtung dieses Gespräch dann nehmen könnte, und dass ich meinem Gegenüber vielleicht in diesem Moment zu viel zumute. Das mag komisch klingen und manche denken sich jetzt womöglich, dass man unter Freunden und vor allem im Kreis der Familie doch immer ehrlich sein kann! Aber ich wette, dass ihr es sicherlich auch schon einmal genau so gemacht habt, oder? Ein „passt schon“ ist eben oftmals die unkompliziertere Lösung und rettet einen in Situationen, in denen man einfach nicht über den eigenen Gemütszustand sprechen möchte.
Es ist meiner Meinung nach nicht falsch, oder gar verwerflich, ganz unverbindlich „es passt schon“ zu antworten. Es geht um die Balance zwischen dem Zulassen der Gefühle und dem alltäglichen Schutzschild, das immer dann zum Einsatz kommt, wenn für die negativen Gefühle gerade nicht die richtige Zeit und der richtige Ort ist. Schließlich braucht ja auch Wonder Woman hin und wieder ihr glänzendes Schutzschild.
Picture by lovely Svenja Sommer Fotografie