Heute nichts erlebt. Auch schön – oder?
Zugegeben, die Headline stammt nicht zu 100 Prozent aus meiner eigenen Feder. Ob auf Postkarten oder unter Instagram Posts, die Worte „Heute nichts erlebt. Auch schön“ haben wir alle schon mal irgendwo gelesen. Gerade in der momentanen, sehr angespannten Situation rund um das Coronavirus passen sie meiner Meinung nach aber mehr denn je.
Nicht nur hier in Deutschland hat die rasante Ausbreitung von COVID-19 eine drastische Konsequenz: Ausgangsbeschränkungen oder gar -sperren (in diesem Post hatte ich meine Gedanken zu dem Thema geteilt). Wir alle ziehen uns in unsere eigenen vier Wände zurück, reduzieren die sozialen Kontakte auf ein Minimum und leisten so unseren Beitrag zur Senkung der Reproduktionsrate. Es dauerte nicht lange, bis aus dem auferlegten Hausarrest ein neuer Trend resultierte: das Streben nach Produktivität. Wenn das wöchentliche Highlight plötzlich nur noch der Einkauf im Supermarkt ist, dann haben wir alle auf einmal ganz schön viel Zeit. Doch was stellt man eigentlich damit an?
Bananenbrot, Workouts & Frühjahrsputz – Hauptsache beschäftigt bleiben
Der Wunsch danach beschäftigt zu sein (oder so zu wirken) scheint mir momentan höher denn je. Es vergingen nicht mal zwei Tage nach Inkraftreten der Ausgangsbeschränkungen und mein Instagram Feed quoll über vor #ichbinjasoproduktiv. Meine persönlichen Highlights: Mindestens vier Fotos von perfekt gebackenen Bananenbroten pro Tag (#healthy, #sugarfree, #bittenichtnocheinhashtag), tägliche live Workouts mit und von Influencer-Sternchen, und natürlich das große Putzen. Das perfekt sortierte Endergebnis eines ausgemisteten Kleiderschranks hat sich zum neuen Statussymbol entwickelt. Wer noch nicht drölf Millionen exotische Rezepte ausprobiert hat und sich nicht bemüht eine weitere Sprache zu lernen, wird schief angeschaut – virtuell über FaceTime versteht sich. Hauptsache nicht langsamer werden, Hauptsache nicht nachlassen. Aber mal ehrlich, so schrecklich die momentane Lage auch ist, bietet sie uns nicht auch die Chance der Entschleunigung? Sind wir nicht gerade gezwungen einen Gang runter zu schalten?
Einfach mal auf Pause drücken
Letztens stieß ich im Internet auf ein Meme, das nicht treffender hätte sein können. Frei übersetzt lautete der Inhalt ungefähr so: „Ich hoffe wirklich, dass diese Quarantäne vorbei ist, bevor ich mit dem ganzen putzen und sortieren fertig bin und ich mich mit meinen eigenen Problemen beschäftigen muss“. Wie wahr. Wenn die Flut an negativen Schlagzeilen nicht abzureißen scheint und ein Großteil der externen Ablenkungen plötzlich wegbricht, dann lassen sich die unter den Teppich gekehrten Angelegenheiten nicht mehr so leicht verdrängen. Klar, dass wir dann zunächst nach anderweitiger Beschäftigung suchen und wie die Irren Bananen horten, nur um sie zu fluffigem Kuchen zu verarbeiten. Die eigenen Probleme lösen sich dadurch aber leider nicht in Luft auf. Und wann hätten wir besser Zeit, um uns damit auseinanderzusetzen, als jetzt? Ich bin der Ansicht, dass man manchmal die Pause Taste drücken muss, um weiter zu kommen.
Balance is key
Wie vieles im Leben ist es eine Sache der Balance. Produktiv sein, aber sich selbst dabei nicht vernachlässigen, Neues lernen und gleichzeitig alten Problemen nicht aus dem Weg gehen. Wenn der eigene Kleiderschrank seit Monaten aus allen Nähten platzt und schon lange mal hätte ausgemistet werden sollen, dann bitte, nur zu! Jeder darf so (un)produktiv sein, wie er gerade eben möchte – solange er damit weder anderen, noch sich selbst schadet. Aber man sollte sich bewusst sein, dass eine aufgeräumte Sockenschublade weder ein Statussymbol ist, noch unangenehme Emotionen erträglicher macht. Denn dafür müssen wir uns schon aktiv Zeit nehmen.
Wie kommt ihr gerade zurecht? Braucht ihr immer Beschäftigung, oder findet ihr es auch mal schön nichts zu tun?
Foto: Svenja Sommer Fotografie